Ein von WikiLeaks veröffentlichter Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Vertretern des Internationalen Währungsfonds offenbart unterschiedliche Interessen und strategische Schachzüge
WikiLeaks hat die Abschrift einer Telekonferenz des Internationalen Währungsfonds (IMF) veröffentlicht, die am 19. März stattfand und zeigt, wie hart um die Durchsetzung der eigenen Interessen gekämpft wird. Es sprechen miteinander Poul Thomsen, der Direktor der IMF-Europaabteilung, Delia Velcoulescou, die Leiterin der IMF-Mission für Griechenland, und Iva Petrova vom IMF. WikiLeaks versichert die Authentizität der Abschrift, aber es ist nicht klar, ob das Telefonat abgehört wurde oder ob es sich um ein Protokoll des IMF handelt, das geleakt wurde. Der IMF wollte nicht bestätigen, ob die Mitschrift authentisch ist.
Man steht offenbar unter Druck, zu einer Entscheidung über die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der EU-Kommission, der EZB, dem Eurorettungsfonds ESM und der griechischen Regierung über die Bedingungen der dritten Kreditvergabe über 86 Milliarden Euro zu kommen, ohne dass eine Entscheidung der Troika gibt, wie es mit Griechenland weitergehen soll. Mittlerweile gehören zur „Troika“ neben dem IMF, der EZB und der EU-Kommission auch der ESM. Anfang April sollen die Verhandlungen weitergehen. Die IMF-Vertreter wollen nicht in Verhandlungen mit der griechischen Regierung über Sparmaßnahmen eintreten, bevor es eine Entscheidung über die Strategie gibt.
Mehrmals wurden bereits Entscheidungen hinausgeschoben, es herrscht Uneinigkeit zwischen den Partnern. Bekannt ist, dass der IMF Griechenland einen Teil der Schulden erlassen will, allerdings nicht bei sich, sondern lediglich bei den Europäern. Der IMF, der seinerzeit vor allem auf Wunsch der deutschen Regierung in die „Rettung Griechenlands“ und damit in die Troika aufgenommen wurde, um im Gegenzug zu den Krediten scharfe „Reformen“ durchzusetzen, besteht aber darauf, dass die eigenen Kredite von Griechenland vollständig zurückgezahlt werden. Griechenland, gerade auch geplagt von der Flüchtlingskrise, verlangt vom IMF eine schnelle Überprüfung der umgesetzten Reformen, um die nächste Finanzhilfe erhalten zu können. Der IMF will dies offenbar hinausziehen und abwarten, wie die künftige Strategie im Umgang mit Griechenland aussehen soll.
Thomsen würde gerne eine Entscheidung vorher haben, Velcoulescou meint, dass man sich auf die EU-Kommission, die EZB und den ESM sowieso nicht verlassen könne. Deren Repräsentanten würden Entscheidungen gleich wieder verändern, wenn es einen Befehl von oben gibt. Die drei IMF-Vertreter überlegen, wie sie ihre Strategie auch zeitlich durchsetzen können. Das Misstrauen scheint bei den IMF-Vertretern groß zu sein. Man habe immer wieder die Erfahrung gemacht, „dass sie nicht machen, was wir sagen, dass wir aufstehen und gemeinsam gehen“. Gemeint ist, dass Griechenland sich nicht an die Abmachungen hält und die anderen Partner die griechische Regierung nicht wirklich unter Druck setzen, indem die Verhandlungen auch tatsächlich abgebrochen werden. Die IMF-Vertreter präferieren offenbar die harte Strategie, kompromisslos ihre Forderungen durchzusetzen. Überdies spielt man damit, ganz aus der „Griechenlandrettung“ aussteigen zu wollen.
Velcoulescou verweist darauf, dass die griechischen Medien den IMF wegen der verlangten Sparmaßnahmen kritisieren und dass „die Europäer“ nicht mit einem Schuldennachlass einverstanden sein werden. Thomsen erklärt, es entscheidend, dass sie die Ziele des IMF zur Grundlage gemacht würden, aber das würde nicht geschehen. Der IMF würde gerne zweigleisig fahren und selbst 3,5 Prozent verlangen, während die europäischen Gläubiger nur 1,5 Prozent in Rechnung stellen sollen. Einem Kompromiss in Höhe von 2,5 Prozent will man nur eingehen, wenn dann keine neue Forderungen (Mickey Mouse stuff) gestellt würden, um die Auflagen etwa im Hinblick auf die Rentenreform, die Mehrwertsteuer oder die Gehälter zu erleichtern.
Thomsen befürchtet, dass sich die Verhandlungen bis in in den Juni oder Juli oder noch länger hinziehen könnten. Vor dem Entscheid der Briten über den Brexit würden sie auch keine Diskussion haben wollen und alles weiter verschieben. Es könne allerdings sein, dass die Flüchtlingskrise für die Europäer, allen voran Merkel, eine Entscheidung erzwingen könnte. Dann könne man die Bundeskanzlerin erpressen:
Sie stehen der Frage gegenüber, was teurer ist: Ohne den IMF weiterzumachen, wenn der Bundestag sagt „Der IMF ist nicht dabei?“, oder sich für den Schuldenerlass zu entscheiden, den wir für Griechenland als notwendig erachten, um uns weiter dabei zu haben?
Ändern würde sich die Lage nur, so Thomsen, wenn den Griechen wirklich das Geld ausgeht, wenn es zu einem „ebent“ käme. Er geht offenbar davon aus, dass es wieder so weit kommen wird, bis die Griechen die Bedingungen des IMF akzeptieren und die Europäer keinem Kompromiss mehr mit der griechischen Regierung zustimmen.
Griechische Medien berichten, dass der griechische Regierungschef Alexis Tsipras nach der WikiLeaks-Veröffentlichung einen Brief an IMF-Direktorin Christine Lagarde schreiben und Aufklärung verlangen will, ob die geäußerten Positionen die offizielle Haltung des IMF seien. Der griechische Präsident Pavlopoulos ist offenbar der Meinung, dass der IMF Griechenland keine Kredite mehr geben sollte.